Jenna Behrends: Familienpolitik war mir lange egal. Jetzt nicht mehr!

Foto: Andi Weiland

Ihr Lieben, Jenna Behrends ist Politikerin der CDU in Berlin und alleinerziehende Mutter einer Tochter. Nun hat sie ein neues Buch herausgebracht: Rabenvater Staat – Warum unsere Familienpoltik einen Neustart braucht. (Affiliate Link) Uns hat sie eines der ersten Interviews zum neuen Werk gegeben.

Liebe Jenna, warum meinst du, dass unsere Familienpolitik einen Neustart braucht?

Familien scheinen der Politik nur in Wahlkampfzeiten wichtig. Sobald die vorbei sind, interessiert sich nur noch das Familienministerium für Kinder. Dabei bräuchten wir endlich auch Arbeits-, Finanz- und Gesundheitsministerinnen, die familienpolitisch denken.

Im ersten Satz deines Buches schreibst du, Familienpolitik sei dir lange egal gewesen. Warum ist sie dir das heute nicht mehr?

Es stimmt: Familienpolitik war mir lange egal. Alle Kämpfe schienen ausgefochten. Alles schien erreicht. Das Wort Vereinbarkeit war in aller Munde. Elterngeld, Kindergeld und Kinderfreibetrag klangen nicht nach einem knausrigen Staat. Dann bin ich mit 23 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden. Und musste sehr schnell feststellen, dass ich falsch lag. Nicht nur, weil es sehr schwer war, eine Hebamme, eine Kinderärztin und einen Kitaplatz zu finden, sondern weil unser ganzes System Familien bis heute nicht ausreichend wertschätzt und unterstützt.

Du forderst eine Politik, in der „Kinder mehr bedeuten als Schweine“. Was genau meinst du damit?

Von Kindern profitieren wir alle als Gesellschaft. Kinder sind die zukünftigen Steuer- und Rentenzahler, die zukünftigen Gründerinnen und Kulturschaffenden. Von Ferkeln hingegen profitiert nur der Züchter. Trotzdem gilt, wer Schweine aufzieht, als produktiv, wohingegen es als "Hobby" zählt, wenn ich mich um Kinder kümmere. Alle Ausgaben für Kinder sind privat. Wenn ich Babybrei kaufe, dann ist das Konsum. Davon, dass gleichzeitig mein Einkommen sinkt und ich weniger Rentenansprüche sammle, ganz zu schweigen. Schweinefutter hingegen ist eine steuerlich relevante Ausgabe. Natürlich sollten wir Schweine und Kinder nicht gleichstellen, aber momentan schultern Eltern die Lasten fast alleine. Selbst das Kindergeld ist kein nettes Geschenk, sondern größtenteils eine Steuerrückzahlung auf das Existenzminimum.

Familienpolitik soll zum echten Leben passen, sagst du, inwiefern tut sie das heute noch nicht?

Zuhause dürfen Mütter natürlich entscheiden, ob sie ihrem Kind das Nutellabrot erlauben oder nicht (übrigens 13 Prozent Haselnussanteil). Aber ob ihr Kind in der Kita Haselnusskuchen essen darf, dürfen viele Eltern dort nicht unterschreiben. Sie können weder über Impfungen entscheiden, noch haben sie, was viel schlimmer ist, Rechte am Kind, wenn ihrer Partnerin oder ihrem Partner etwas geschehen sollte. Patchwork-Konstellationen oder auch Modelle, in denen es bspw. in einer lesbischen Partnerschaft mehr als ein Kind gibt, sind rechtlich schlicht nicht vorgesehen. Auch zum Wechselmodell, für das sich immer mehr Eltern nach einer Trennung entscheiden, ist bisher nichts geregelt.

Kinder passen NIE zur Arbeitswelt, sagst du, wir können unsere Kinder halt nicht effizienter und schneller trösten, um alles zu schaffen. Wie kann der Staat uns hier das Leben erleichtern?

Wir müssen endlich erkennen, dass das Modell Ausbildung-Arbeit-Rente so nicht mehr funktioniert. Es wird immer Lebensphase geben, in denen wir uns zum Beispiel fortbilden oder Verantwortung für Kinder oder andere Menschen, die Pflege benötigen, übernehmen. Unser Sozialsystem ist darauf noch gar nicht vorbereitet, weshalb ich mich im Buch mit Alternativen beschäftige.

Du findest, die staatlichen Ausgaben für Familien haben hierzulande keinerlei Strategie oder Richtung…

Ja, leider. Bei der Vielzahl unterschiedlicher Ministerien und politischer Ebenen kommt es schnell zu dem „Mama hü, Papa hott“-Phänomen. Die eine sagt so – der andere so. Der eine gibt beim Überraschungsei an der Supermarktkasse nach – die andere nicht. Das eine Ministerium fördert, dass Mütter möglichst schnell wieder arbeiten – das andere, dass sie möglichst lange zu Hause bei ihren Kindern bleiben. Im besten Fall vergrößert das die Wahlfreiheit, im schlimmsten Fall (und das passiert leider oft) hebt die Wirkung der einen Maßnahme die der anderen auf. Familienpolitik muss endlich so einfach wie das Kinderpuzzle meiner Tochter werden. Eltern haben keine Zeit, um sich mit komplizierten Regeln und Anträgen zu beschäftigen.

Der Staat kann Familien nicht alle finanziellen Belastungen abnehmen, Kinder zu haben bedeutet Verantwortung zu haben. Aber die Treppe ins Familienhaus sollte so gebaut sein, dass nicht alle an derselben Stufe stolpern. Das schreibst du in deinem Buch und forderst stattdessen Wahlfreiheit für den Weg, den jede Familie für sich gehen möchte…

Genau, ich habe häufig die Erfahrung gemacht, dass Paare vor der Geburt die Vorstellung hatten, auch mit Kindern gleichberechtigt zu leben. Traf ich sie nach einem Jahr wieder, sind genau diese Paare doch sehr häufig in einer traditionellen Rollenverteilung gelandet. Sie hatten das Gefühl, dass sie gescheitert seien. An ihrer konkreten Situation und sich selbst. Aber das stimmt nicht: Es gibt diese Treppenstufen, die so ungünstig gebaut sind, dass viele Familien darüber stolpern. Das sind gesellschaftliche Probleme. Wir haben zwar einige gut ausgebaute Wege, wie Familienleben aussehen kann. Aber sobald wir auch nur etwas davon abweichen, geraten wir ins Straucheln. Echte Wahlfreiheit ist das nicht.

Foto: Andi Weiland

Du betonst auch, wie wichtig Hebammen für Familien sind, warum tut der Staat dann so wenig zur Rettung ihres Berufsstandes?

Das frage ich mich auch. Hebammen sind so wichtig für eine guten Start ins Familienleben. Kreißsäle schließen, und die Wochenbettbetreuung zu Hause ist auch nicht mehr selbstverständlich. Selbst wer sehr früh nach einer Hebamme sucht, hat keine Garantie eine zu finden. Dabei ist das Wochenbett eine sensible Phase, in der wir Familien und vor allem Frauen jede Unterstützung ermöglichen sollten. Eine Geburt ist nichts Privates. Sie geht uns alle an. Offensichtlich ist das in der Politik noch nicht angekommen.

Es wird Zeit, Eltern auf die Schultern zu klopfen, findest du – für das, was sie ihren Kindern an Werten, Fähigkeiten und Wissen vermitteln…

Ja, ich finde, dass das viel zu selten gemacht wird. Eine Packung Pralinen zum Muttertag reicht nicht. Wenn wir uns ansehen, was Eltern jeden Tag leisten, dann bekommen sie dafür immer noch viel zu wenig Anerkennung und Wertschätzung. Sowohl von der Gesellschaft, als auch aus der Politik.

 

 

 


2 comments

  1. Na da…
    … Bin ich ja mal gespannt was uns wir von Frau Behrends noch hören werden. Für mich persönlich gehört die Familien Politik zunächst einmal komplett mit allen Zweigen auf Bundesebene gehobenen. Wir (zuhause in Bayern) empfinden die Wahl Geschenke als etwas sehr nettes, aber doch ist es Bauernfängerei. Angestaubt ist das zweite was mit einfällt. Warum bekommen z. B. Verheiratete ohne Kinder Steuervergünstigungen? Eine bessere Lebenssituation gibt es doch nicht. Kinder sollten zählen. Denn die verursachen mehr Kosten. Etc. Etc insgesamt bin ich mit unsrer Lebensqualität sehr zufrieden aber Familie mit mehr Kindern oder schwächeren Einkommen sollten stärker unterstützt werden und vor allem sollten wir nicht ständig als politisches Werkzeug genutzt werden.

  2. Dann kann sie ja als
    Dann kann sie ja als Politikerin gleich Mal anfangen ihre Ideen an den richtigen Stellen anzubringen und etwas bewirken.
    Klingt nämlich ziemlich spannend was sie fordert.

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