„Na, kriegst du deine Tage oder was?“ Nataly Bleuel erklärt, warum die Hormone eben nicht alles schuld sind

© Julia Sellmann

Ihr Lieben, wie wenig wir über uns und unsere Körper wissen, fällt mir nicht nur bei den Bio-Hausaufgaben meiner Teenies auf. Auch Journalistin Nataly Bleuel wollte mehr über sich als Frau und über Hormone erfahren, die doch immer wieder gerade mit uns und unseren Launen in Verbindung gebracht werden.

Klingt erstmal fad in deinen Ohren? Dann lest mal, wie Nataly Bleuel dazu schreibt – und vor allem WAS. Ihr Buch Das sind die Hormone. Wie sie uns durchs Leben dirigieren, wie sie Stimmung machen und wie wir damit umgehen (Affiliate Link) kann ich euch nur von Herzen empfehlen. Das Interview hier ist aber auch schon mal ziemlich toll…

as sind die Hormone. Wie sie uns durchs Leben dirigieren, wie sie Stimmung machen und wie wir damit umgehen. (Affiliate Link)

„Na, du hast wohl mal wieder deine Tage, oder?“ Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Spruch gehört hab, wenn ich mal etwas launischer war als sonst. Frau Bleuel, können wir wirklich jede unserer Launen guten Gewissens auf unsere Hormone schieben?

Natay Bleuel: Nee, die armen Hormone sind nicht an allem schuld. Sie sind biochemische Botenstoffe, also übermitteln sie Informationen wie beispielsweise: Mein Körper ist grad mit sich beschäftigt, das fordert Energie, also schone mich grad mal bisschen mit all den Anforderungen, die ein Alltag als berufstätige Mutter mit sich bringt: BIN IM STRESS!

Aber nicht (nur), weil grad die Biochemie die Kontrolle übernommen hat, über mein Fühlen, Denken und Handeln. Als wär ich eine Maschine. Oder eine Monade. Nee, ich bin ein Mensch.

In einer Umwelt, die seine hormonellen Stimmungen und prickelnde wie schlechte Launen mitbeeinflussen kann (Stress, Wonnemonat Mai). Und im Körper drin hab ich außerdem noch Nerven, ein Immunsystem, Herz, Bauch, Organe und, hey, einen Verstand! Der auch ein bisschen auf Launen einwirken kann. Das Gleiche betrifft übrigens auch Männer. Die sind auch nicht nur schwanz-, äh, testosterongesteuert.

Was meinen Sie, warum wir so wenig über diese kleinen Viecher namens Hormone wissen?

Hormone sind Chemie, da hatte ich in der Schule auch schon eine 5. Leider. Denn erst mit 50 hab ich mich zu trauen gefragt: Wie kann es sein, dass Chemie meine Gefühle macht? Kann das wahr sein? Ist es wirklich so?

Das Hormonsystem ist total komplex und sensibel. Es gibt an die 1000 Hormone, von denen selbst Endokrinolog*innen längst nicht alles wissen. Und es zu erklären, beispielsweise Leuten wie mir, ist ja auch schon meinen Chemielehrern nicht geglückt. Das ist aber eigentlich ein Skandal. Denn es geht hier um unseren Körper und um unser Leben und um Klischées, die immer wieder mit angeblichen hormonellen Unterschieden begründet werden: Frauen sind so, Männer so.

Und ‚die’ Hormone steuern das angeblich alles, nebenbei noch andere wesentliche Dinge wie: Lust, Kinderkriegen, Altern, Scheißstimmungen, Unlust oder Krankheiten wie Diabetes, Depressionen, Endometriose, Schilddrüsenunterfunktionen, Demenz und viele schreckliche und schöne Dinge mehr. Da wüsste man doch mal gern genauer, was stimmt. Und was die Forschung so weiß und behauptet. Und dann merkt man: erschreckend wenig – und einiges ist auch noch falsch.

Nun kennen wir als Frauen ja wirklich zum Teil heftigste prämenstruelle Ausnahmezustände. Ich könnte ein paar Tage vor der Regel zum Teil die Wände hochgehen, zum Teil falle ich aber auch in ein ziemlich depressiv wirkendes dunkles Loch. Und OBWOHL ich weiß, dass das hormonell bedingt sein müsste, kann ich mich nicht dagegen wehren. Wieso lassen uns die Hormone so irrational werden?

Genau das war, als ich anfing mit meinen Recherchen, eine meiner beiden dringlichsten Fragen: 1. (Wie) kann Chemie Gefühle machen? 2. Warum lande ich immer wieder in dieser furchtbar paradoxen Situation: Ich bin total gereizt, aber wehe, jemand sagt: Hast wohl deine Tage?

Das macht mich dann extrem wütend, a) weil ich nicht reduziert werden will auf ein deterministisches Phänomen wie ‚hysterische Zicke, die gerade ihre Tage hat‘; weil b) das gerade total ernst ist: Ich bin am Anschlag, ich bin todtraurig, ich bin schwach. Nimm mich ernst! Mach dich nicht über mich lustig! Stempel mich nicht als tierischen Trottel ab!

Und dann – es ist ein paradoxer Irrsinn –, wenn es vorbei ist, am Tag danach, schlag ich mir selbst an die Stirn und sag mir: Ach so, war ja nur das PMS, der Milcheinschuss, die Wechseljahresgereiztheit, der Testosteronüberschuss, das Pubertier!

Jetzt, nach den Recherchen würde ich provokant sagen: Es ist gar nicht so irrational. Es ist auch manchmal folgerichtig. Weil das Leben manchmal zum Wändehochgehen und zum Heulen oder Überschnappen ist. Und ich persönlich finde, das kann ruhig auch mal zum Ausdruck gebracht werden, das ist Punk. Sind aber nicht all die vielen Frauen und Männer, mit denen ich für das Buch gesprochen habe, meiner Meinung.

Nataly Bleuel
© Julia Sellmann

Nun lebe ich hier mit drei pubertierenden Kindern äh Jugendlichen in einem Haushalt (man muss ja in ihrer Hormonlage sehr vorsichtig sein mit dem, was man über sie sagt), wie genau schafft der Körper es denn, genau pünktlich im Jugendalter die Pubertät vorbeizuschicken?

Flapsig gesagt, der Körper ist ja nicht dumm, nein, er ist sogar oft sehr viel schlauer als wir, und irgendwann möcht er halt mal Lust haben, Sex und vielleicht sogar Nachwuchs und von den Jugendlichen in meinem Umfeld weiß ich, dass man äußerst gespannt auf Busen, Behaarung und die ersten Bacio („Bussi“) hoffen kann.

Und dann kommt, zack, ein hormoneller Startschuss in die Pubertät: Es ist der Moment, ab dem die Hormonkaskade zu sprudeln beginnt und dafür verantwortlich ist, das sagen einige Endokrinolog*innen, ein Eiweiß-Hormon mit dem hübschen Namen Kisspeptin. Der Mensch wird, so kann man es umschreiben, quasi vom Hormon geküsst in die Geschlechtsreife hineingeschubst. Wie genau das geht, braucht etwas mehr Platz und deshalb steht es im Buch.

Gleichzeitig wird mir Angst gemacht: Wenn erstmal die Wechseljahre bei dir einsetzen, dann hast du keine Lust mehr auf Sex, wirst unten trocken wie Sand usw. – was können Sie uns in solchen Momenten als Expertin Schlagfertiges an die Hand geben?

Oh oh oh, so ein Schmarrn. Da müsste ich jetzt echt ausholen, denn über die Wechseljahre lässt sich sehr viel sagen, sehr viel Überraschendes, Unterschiedliches und total Gegensätzliches, daher: Buch!

Eins nur: Ich habe von vielen Frauen gehört, dass sie nie zuvor so tollen Sex hatten und auch ich persönlich war selten so ausgelassen und gechillt mit meinem Körper und meinem Leben wie in diesem Alter. Obwohl ich nicht zu den etwa fünf Prozent Frauen gehöre, die die Wechseljahre gar nicht zu spüren bekommen.

Ein Drittel, sagt die Gynäkologin und Vorsitzende der Menopausen-Gesellschaft Kathrin Schaudig, hätten kaum Symptome, ein Drittel so, dass sie damit leben können, und nur ein Drittel litten so darunter, dass sie etwas dagegen tun wollen (und können).

Zu den Wechseljahren wie zu anderen hormonellen Phasen versuche ich, eine eigene Haltung zu bewahren: Sie gehören zu mir, lassen mich lernen, reifen und altern – und das ist gut so! Jetzt kommen vielleicht noch mal 30 Jahre, mit denen ich, so lebenserfahren, souverän und weise, wie man da nun mal sein kann, was Cooles anfangen kann: Freiheit, die ich mir nehme!

Heißt: Es ist auch meine Einstellung zum Leben, die es schön und gut machen kann. Quasi kurz vor der Erleuchtung.

Was hat Sie selbst bei der Recherche zu diesem Buch am meisten überrascht?

Dass der menschliche Körper ein derart euphorisierendes Wunder ist! Dass man von der Wissenschaft so viel lernen kann, zum Beispiel auch, dass ihre Hypothesen und Studien – sehr viel öfter als wir sie nachplappern – gar nicht haltbar sind; beispielsweise haben auch Frauen Testosteron und auch Männer Östrogen.

Und dass es unglaublich tolle neue Forschungsrichtungen gibt wie die ‚soziale Neuroendokrinologie‘, die den Menschen als Ganzes sieht, mit Körper, Geist und Umwelt, und damit quasi ganzheitlich denkt. Für philosophisch angehauchte Soziologinnen wie mich eine Revolution.

Vor allem anderen aber: die Gespräche mit den Frauen (und Männern), die ja die Grundlage des Buches sind. Die Menschen können so schlau und daher schön sein. Und bei diesem Thema hat mich das überwältigt: Wirf den Begriff HORMONE in eine Runde, vor allem von Frauen, und es geht sofort aufs Ganze.

Wer bin ich? Wie fühle ich? Was denken die anderen über mich? Wie soll ich sein? Und wie und was und wann will ich’s eigentlich selbst? Über Hormone lassen sich nicht nur Menschen, sondern ganze Kulturen und Gesellschaften hinterfragen.


1 comment

  1. Vielen Dank. Ein sehr wichtiges Thema, denn es wird noch immer – selbst von vielen Frauen – die schlechte Laune auf die Hormone geschoben.

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